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Studienzeit, Teil I (1968-1972)

Nach dem bestandenen Abitur belohnte ich mich mit meiner ersten Reise allein. Es gab damals ausschließlich für Studenten ein verlockendes Angebot der Bundesbahn: für nur DM 150,00 konnte man Hin- und Rückfahrt im Liegewagen mit voller Verpflegung im Speisewagen wahlweise nach Athen oder İstanbul fahren. Das habe ich jahrelang immer wieder genutzt, auch als der Preis für Athen auf DM 180,00 angehoben wurde. Der Preis war so niedrig, dass es auch lohnte, ihn wahrzunehmen, wenn man nicht die gesamte Strecke fahren wollte. So kaufte ich die Fahrkarte nach İstanbul, obwohl ich schon in Dimitrovgrad in Bulgarien aussteigen wollte, um von dort zu meiner Brieffreundin nach Haskovo zu fahren, und für die Rückfahrt kaufte ich die Fahrkarte ab Athen, obwohl ich erst in Thessaloniki wieder zusteigen wollte.

Obwohl es 1968 war, hatte der mit der 68er Generation verbundene Aufbruch noch nicht gegriffen. Nicht nur studierte ich in meinem ersten Semester im Winter 1968/69 noch in Anzug und Krawatte und fiel damit nicht auf, auch die erste Balkanreise trat ich so gekleidet und mit Koffer an. Allerdings war es bald zu warm, und ältere Mitreisende ermunterten mich, Jackett und Krawatte abzulegen. Im weiteren Verlauf des Urlaubs zog ich den Anzug kein einziges Mal mehr an.

Auf der deutschen Strecke war die Fahrt nicht weiter aufregend. Am nächsten Morgen wurde ich im Gasteiner Tal wach und konnte die bekannten Berge und Ortschaften begrüßen. Südlich der Alpen verlor die Landschaft bald ihren Reiz, es gab in Slovenien viel Industrie. Aufgefallen sind mir die Bahnbeamten in ihren blauen Uniformen mit roten Stern, die anders als in Deutschland das Beamtentum wirklich nur in der Kleidung trugen und nicht im Blut. Sie wirkten alle sehr lässig und gemütlich. Der Zug fuhr hier viel langsamer, vor allem zwischen Zagreb und Belgrad zog es sich sehr. Die Luft, die durch die geöffneten Fenster drang, war warm, und an den Bahnhöfen (nach Zagreb Slavonski Brod und Vinkovci) verkauften fliegende Händler allerlei Gebäck. Jenseits von Belgrad erreichte uns die nächste Nacht, und der folgende Morgen beeindruckte mit tiefen Schluchten zwischen dem serbischen Dimitrovgrad und Dragoman in Bulgarien. Sofia dann war der sauberste und adretteste Bahnhof, den ich je gesehen hatte, alles blitzsauber und ordentlich, ein gelb getünchtes Gebäude. Irgendwo auf der Strecke nach Plovdiv führte ich dann mein erstes Gespräch in einer slavischen Sprache, auf Russisch mit einem sowjetischen Soldaten. In Dimitrovgrad endete dann meine Reise; Elena, die ältere Schwester meiner Brieffreundin Marijana, holte mich vom Zug ab. Auch mit ihr sprach ich erst noch russisch, aber bald begann mein intensives Bulgarischstudium,

Die beiden Schwestern verfolgten dabei unterschiedliche Methoden, die sich ergänzten. Elena korrigierte mit viel Geduld meine Bulgarischfehler, aber jeweils nur einmal: auf grammatisch falsche Sätze antwortete sie danach nicht mehr und nötigte mich so, korrektes Bulgarisch zu sprechen; Marijana hingegen war es wichtig, dass ich pausenlos redete, Fehler waren ihr egal, solange sie mich verstand. Während ich bei Elena fehlende Vokabeln im Wörterbuch nachschlagen durfte und sollte, mochte Marijana mein Wörterbuch nicht und wollte, dass ich das, was ich nicht auszudrücken wusste, umschrieb. Außerdem entlieh man aus der Stadtbücherei für mich eine bulgarische Kurzgrammatik, die ich selbständig durcharbeitete und später zum zehnfachen Preis der Bücherei abkaufte, weil es vergleichbare Werke im Buchhandel derzeit nicht gab. 

Beim Einkaufen überraschte mich die bulgarische Verkaufspraxis. Das extremste Beispiel war, dass ich in einer Buchhandlung ein Buch kaufen wollte, das mir gegenüber im Regal stand. Ich bat die Verkäuferin, es mir zu geben, die aber weigerte sich, das sei die Abteilung ihrer Kollegin. Auf meine Rückfrage, wo denn die Kollegin sei, erfuhr ich, dass sie in Urlaub sei. Ich habe das Buch also nicht bekommen.

Neu war für mich auch die gegenüber Mitteleuropa umgekehrte Verwendung von Gesten. Als ich auf der Post einen Brief expedieren wollte, wurde ich gefragt, ob der mit Luftpost befördert werden sollte. Ich verneinte und schüttelte dazu den Kopf und erhielt prompt den Aufdruck Luftpost, weil Kopfschütteln in Bulgarien nun einmal ja bedeutet, mein gesprochenes не wurde dagegen offenbar als weniger wichtig erachtet. 

Eine neue Erfahrung waren auch Busfahrten. Kaum erschien der Bus, so drängten alle Reisenden stoßend und drängelnd hinein, jeder wollte der Erste sein, aber drinnen rüttelte es sich schnell zurecht, man rückte zusammen, so dass alle eine Gelegenheit zum Sitzen fanden. Der Kampf beim Einstieg war also wohl nur eine Art Sport. Jedermann war hilfsbereit, und so war es nur natürlich, dass der Sitznachbar, der schon genug Gepäck mitführte, ohne zu fragen seine Melone, für die er keinen Raum mehr hatte, auf meinem Schoß platzierte. Und ich lernte die standardisierte Konversation, die überall im Balkanraum so praktiziert wurde: „Woher kommst Du? Hast Du Geschwister? Bist Du verheiratet? Warum nicht? Willst Du meine Schwester/Tochter/Enkelin?“ Die letzte Frage folgte nicht immer, aber doch sehr oft. 

Unterwegs aßen wir immer in einfachen Selbstbedienungsrestaurants. Das Essen war einwandfrei und schmeckte, problematisch war nur das sehr schlichte Aluminiumbesteck, zumal es praktisch nie Messer gab, nur Gabeln und Löffel, so dass ich lernen musste, Fleisch auch mal mit dem Löffel zu schneiden. Was die Küche anbetrifft, so lernte ich einiges kennen, was damals in Deutschland noch nicht bekannt war. So verbrannte ich mir den Mund mit einer scharfen Paprikaschote, die ich in der Annahme, es handele sich um eine Bohne, auf einmal ganz in den Mund gesteckt hatte. Neu waren mir damals auch noch mit Reis und Hackfleisch gefüllte Gemüsepaprika (Paprika kannte ich überhaupt noch nicht). Und eine Spezialität, die ich nie im Leben mehr irgendwo angeboten gefunden habe, die aber sehr gut war, war in dünne Scheiben geschnittener Kuheuter in einer weißen Soße mit viel Pfeffer.

Haskovo hatte Reisenden wenig zu bieten, und so unternahmen wir von hier aus Ausflüge. Da Marijana mit der Vorbereitung der Zulassungsprüfung zum Studium beschäftigt war, nahm sich Elena meiner an. Die erste Reise führte uns mit dem Zug nach Veliko Tărnovo und in das Künstlerdorf Arbanasi, dann zum Šipka-Pass mit dem Denkmal für die russischen Befreier von den Türken und zu Fuß durch das Rosental nach Kazanlăk. Der Fußmarsch war nicht unbedingt geplant, aber an der Bushaltestelle in Šipka war nicht zu erfahren, wann denn da mal ein Bus kommen würde. Es warteten zwar ein paar Leute, von denen aber keiner wusste, wann oder ob ein Bus kommen würde. Da herrliches Wetter war, schlug ich daher vor, zu Fuß weiterzugehen, was inmitten von Rosenfeldern wirklich eine Freude war. Lustig fand ich einmal, dass Kinder, an denen ich vorüberging, verstummten und mir nachsahen und eines dann dem anderen ehrfurchtsvoll zuflüsterte: „Das ist ein Russe!“

Auf den zweiten Ausflug begleiteten mich beide Schwestern. Es ging nach Plovdiv und dann von Asenovgrad aus zu Fuß zum Kloster Bačkovo. Hier ereilte uns die Nachricht vom Einmarsch der Truppen des Warschauer Paktes in die ČSSR, was dazu führte, dass wir früher als geplant nach Haskovo zurückkehrten, weil die beiden Mädchen als ausgebildete Lastwagenfahrerinnen mit ihrer Einberufung rechneten. Glücklicherweise kam es nicht zu dem von den Mädchen befürchteten militärischen Eingreifen des Westens, und einige Tage später unternahm ich mit Elena noch eine dritte Tour, die uns nach Sofia und von dort mit dem Bus zum Rila-Kloster führte. 

Ursprünglich hatte ich weniger lange in Bulgarien bleiben und auch Griechenland kennenlernen wollen. Die Verlängerung meiner Aufenthaltsgenehmigung für Bulgarien erforderte ein Vorsprechen bei der Miliz. Ich selber musste draußen warten, während Marijana lange Zeit befragt wurde. Hinterher erzählte sie mir von dem Gespräch, und ich erfuhr zu meinem Erstaunen, dass die bulgarische Miliz mich und meine Familie besser kannte als ich selbst. Erst nach der Rückkehr konnten mir meine Eltern bestätigen, dass die Informationen, die mir neu waren, der bulgarischen Miliz aber bekannt, den Tatsachen entsprachen. Die Geheimdienste arbeiteten offenbar effektiv zusammen, mich erstaunte nur, dass sie sich für eine solch unbedeutende Person, wie ich es war, interessierten.

Schließlich aber musste ich doch an die Rückreise denken. Von Sofia aus nahm ich den Zug nach Thessaloniki und wollte dort den internationalen nachts um zwei Uhr erreichen. Während der Fahrt fielen mir griechische Soldaten mit ihrer Arroganz, die so ganz im Gegensatz zu dem freundlichen und menschlichen Auftreten der bulgarischen Soldaten stand, unangenehm auf. Es war ja die Zeit der Militärdiktatur, und auf der Akropolis von Thessaloniki stand Militär, das die Stadt mit Geschützen kontrollieren konnte. Das sah ich freilich erst am nächsten Tag.

Der Zug aus Athen kam mit der üblichen Verspätung, aber der Wagen mit meinem Platz war nicht dabei. Auch ein paar andere Jugendliche suchten vergebens. Wir erfuhren schließlich, dass unser Zug 24 Stunden später kommen würde. Es war freilich unser Fehler: wir hatten nicht berechnet, dass der Zug in Thessaloniki einen Tag später als in Athen abfahren würde. Nun saßen wir mitten in der Nacht ohne Unterkunft und Geld fest. Also schliefen wir auf dem Boden im Bahnhof, bis uns am Morgen grobe Tritte von Polizisten weckten, weil wir den Zugang zu den Fahrkartenschaltern behinderten. Ich tauschte 5 DM in Drachmen und machte mich auf, die Stadt zu erkunden. Es war viel zu heiß, und ich lebte den ganzen Tag nur von Zitroneneis und Zitronenlimonade, außerdem reichte das Geld noch für eine Portion Souvlaki an einem Kiosk und für eine Postkarte, die ich meinen bulgarischen Freunden schickte. Glücklicherweise lernte ich einen Italiener kennen, der ein Auto hatte, und wir taten uns zusammen. Mein Griechisch war zwar rudimentär, aber er verstand gar nichts, dafür interessierte er sich für Kirchenarchitektur. Wir klapperten also alle byzantinischen Kirchen ab, wobei ich dem freilich damals wenig abgewinnen konnte. Es waren doch alles nur Ruinen, da hatten mir die prachtvollen (und natürlich viel jüngeren) Kirchen in Sofia oder im Rila-Kloster doch besser gefallen.

In der Nacht kam dann unser Zug, und die Rückreise verlief ohne besondere Vorkommnisse. 

1969 kam ich nicht auf den Balkan. Im Frühjahr ging meine Schwester zum Schüleraustausch nach Paris, und meine Eltern beschlossen, sie dorthin zu begleiten. Größere Eindrücke hinterließ Paris freilich nicht, das Wetter war unangenehm kühl und feucht, vom Eiffelturm wehte es einen fast hinab. Besser gefiel mit Sacré Cœur, und auch das kleine Hotel, in dem wir Unterkunft fanden. Es war klein und verwinkelt, überall gelb gestrichenes Holz, zierlich. Das Frühstück entsprach freilich gar nicht unserem Geschmack, und von der berühmten französischen Küche merkten wir auch nichts. Der Aufenthalt war freilich auch nur kurz.

Viel mehr beeindruckte mich unsere Sommerreise, die ich noch einmal mit der Familie antrat. Wir waren noch einmal in Dorfgastein, und ich erinnere mich, dass wir zu nachtschlafener Zeit die Mondlandung vor dem Fernseher in einem Gasthaus verbrachten, allerdings hatten wir nicht die Geduld, noch auf die ersten Bilder vom Mond zu warten. Interessanter war der zweite Teil des Sommerurlaubs, als wir mit dem Auto nach Ungarn fuhren. Die erste Nacht verbrachten wir in Veszprém, machten auch einen Abstecher zum Plattensee, dann aber ging es nach Budapest, wo ich eine Brieffreundin Judit hatte. In der Familie wurden wir herzlich aufgenommen, und meine Mutter pflegte noch jahrelang Kontakt zu Judits Mutter, mit der sie sich sehr gut verstanden hatte. Sie sprach auch sehr gut deutsch, während ich mit Judit lieber ungarisch kommunizierte. Das ungarische Frühstück mit Lecsó mundete uns weit besser als das französische, und wenn auch der Halászgulyás in einem Fischerort am Donauknie nahe Visegrád einem auf Stunden die Geschmacksnerven betäubte, zogen wir auch das der französischen Küche allemal vor. Auch die Stadt Budapest gefiel uns besser als Paris. 

1970 kehrte ich auf den Balkan zurück. Mein akademischer Lehrer Hans Rothe hatte mir ein Stipendium für einen Sommersprachkurs in Ohrid angeboten. Da ich irrtümlich annahm, dafür würden Makedonischkenntnisse bereits vorausgesetzt, lernte ich im Laufe des Sommersemesters selbständig Makedonisch, was mit meinen guten Bulgarischkenntnissen kein großes Problem darstellte, und las ein paar makedonische Märchen und kurze Erzählungen. Für die Reise kaufte ich wieder die günstigen Fahrkarten für Studenten, für die Hinfahrt nach Athen, für die Rückfahrt ab İstanbul. Dieses Mal wollte ich aber wirklich bis Athen durchfahren.

Die Zugfahrt bot wenig Neues, reizvoll fand ich freilich die Strecke am Thermaischen Golf, wo sich vom Zug aus der Blick über das Meer eröffnete. Im Zug hatte ich einen jungen Griechen von Kos kennengelernt, der mit sieben Koffern in die Heimat zurückkehrte. Er überredete mich, nicht schon in Athen auszusteigen, sondern mit ihm bis Piräus durchzufahren. Während ich dann auf sein Gepäck aufpassen sollte, suchte er in Quartier für die Nacht. Lustig fand ich, dass er, wenn immer er dem Gepäck nur kurz den Rücken gekehrt hatte, die Stücke wieder durchzählte, wobei er mir erklärte, alle Griechen seien Diebe. Es gelang uns aber, in einem kleinen Hotel in Piräus unterzukommen, ohne dass sich die Zahl der Gepäckstücke verringert hätte. Am nächsten Morgen vermisste ich freilich mein Hemd, das ich am Vorabend, verschwitzt von der Zugfahrt, wie es war, ausgezogen hatte. Mein griechischer Bekannter schlug mächtig Lärm, ließ den Hotelbesitzer kommen, der wiederum die Zimmermädchen. Eine von ihnen fragte schließlich, ob ich wirklich gut gesucht habe, auch in einer versteckten Schublade des riesigen Schrankes, der im Zimmer stand. Dort fand sich dann das Hemd tatsächlich, nur hatte ich von der Existenz dieser Schublade gar nichts gewusst. Wir reisten ab, mein Bekannten mit dem Schiff nach Kos, ich mit der Elektrischen nach Athen, wo ich mir ein Hotel suchte. Erst dort merkte ich dann, dass nicht nur mein Hemd die Begehrlichkeit der Zimmermädchen geweckt hatte, sie hatten mir auch ein nagelneues Stück Seife entwendet. 

In Athen absolvierte ich das übliche Besichtigungsprogramm der antiken Überreste, unternahm auch einen Ausflug nach Delphi, dann aber wollte ich, müde von all der Antike, entspannen und fuhr von Piräus aus auf die Insel Aigina. Nach dem Mittagessen, Schwimmen und Liegen am Strand, wobei ich auf Griechisch ein Buch über das griechische Sprachproblem (Τὸ γλωσσικό μας ζήτημα) las, überkam mich dann doch die Lust, etwas mehr von der Insel zu sehen, vor allem die Chance, vom Berg aus vielleicht ringsum Meer sehen zu können. Also machte ich mich in der Mittagshitze auf in Richtung auf den Berggipfel. Bald überkam mich furchtbarer Durst, so dass ich eine Bäuerin am Wegesrand ansprach und um Wasser bat. Sie brachte es mir in einem Becher, der nicht sehr appetitlich aussah, aber ich trank. Sie wollte wissen, wohin ich wolle. Zum Berg, sagte ich und lernte dann, dass das Wort dafür βουνό ist und nicht das altgriechische ὄρος, das ich gebraucht hatte. Warum ich das tue, fragte sie, für die Gottesgebärerin? Es bedurfte wohl wirklich eines Gelübdes, um mitten an einem heißen Tag auf einen Berg zu steigen. Weiter führte mich mein Weg immer aufwärts durch Weinberge, wobei ich, wieder durstig, mich an den Weintrauben bediente, die aber klebrig waren und zu süß. Schließlich erreichte ich einen Hof, wo ich mich erst einmal in der Waschküche mit dem Schlauch waschen konnte, weil alles an mir klebte. Der Berg war noch immer weit, aber ich hatte genug. Neben dem Hof gab es eine Bushaltestelle, so dass ich von hier aus mühelos zum Hafen zurückkehren konnte. Bis dahin konnte ich dort ein Bier trinken, wobei die Jungen dort vergeblich versuchten, mir Grillen in Käfigen zu verkaufen.

Es war Abend, als ich das Schiff zurück nach Piräus bestieg. An Bord war eine Gruppe junger Leute, Griechen. Ich wollte eine Bekanntschaft machen, um später mein Griechisch durch eine Brieffreundschaft verbessern zu können. Dazu stellte ich mich dumm und sprach ein Mädchen auf die Fischer an, die bei Nacht auf ihren Booten mit Lampen auf Fang fuhren. Wir kamen ins Gespräch, und Lola lud mich bei der Ankunft in Piräus ein, mitzukommen: die Gruppe wollte zum Weinfest nach Daphni. Eigentlich hätte ich nur noch ins Hotel gewollt, aber ich nahm die Einladung gerne an. Die Feier zog sich die ganze Nacht hin mit Tanz und Wein. Es wurde schon hell, als man mich in Athen aus dem Taxi ließ, mit dem die Gruppe zurückgefahren war. Aus der Brieffreundschaft wurde freilich nichts, mehr als zwei Briefe habe ich nicht bekommen; dafür war ich reicher an einer Erfahrung, wie man in mediterranen Ländern zu leben weiß, obwohl ich Ähnliches ja auch schon in Italien gelernt hatte.

Inzwischen näherte sich der Termin, zu dem ich in Ohrid sein sollte. Ich nahm also den Zug nach Norden und stieg in Titov Veles aus, um dort den Zug nach Bitola zu nehmen. Bis dahin waren freilich viele Stunden Zeit, die ich darauf verwenden wollte, mir Titov Veles anzusehen. Den Koffer wollte ich zur Gepäckaufbewahrung geben, musste aber erfahren, dass es keine gab. Wir haben hier nichts aufzubewahren, beschied man mich, ich könne aber den Koffer auf dem Bahnsteig stehenlassen. Etwas unheimlich war mir das zwar, aber auf die Besichtigung wollte ich auch nicht verzichten, also ließ ich den Koffer dort stehen und ging in die Stadt. Sie war reizvoll, schöne Häuser, steile Straßen mit Kopfsteinpflaster. An einer Stelle saß, abgestützt auf einen Stock, den er in das Pflaster gesteckt hatte, ein Märchenerzähler. Ich versuchte zuzuhören, aber man wurde schnell auf mich aufmerksam, der Erzähler unterbrach seinen Bericht, und man machte einen Milizionär auf mich aufmerksam, der auch prompt kam und meine Papiere kontrollierte. Es war alles in Ordnung, aber dennoch konnte ich nicht weiter zuhören und musste weitergehen. Gegen Abend kehrte ich zum Bahnhof zurück, nahm meinen Koffer und fuhr mit dem sogar pünktlichen Zug weiter nach Prilep, am nächsten Tage nach Bitola. Hier erstand ich am folgenden Tag auch makedonische Wörterbücher, so dass ich jetzt besser gerüstet war. Nach der Besichtigung auch Bitolas fuhr ich dann weiter nach Ohrid, wo die Teilnehmer der Sommerkurs ganz feudal im Hotel „Palas“ direkt am See untergebracht waren.

Aufgrund meines privaten Makedonischstudiums konnte ich sofort in den Fortgeschrittenenkurs gehen. Die Vorlesungen und Sprachkurse fanden vormittags statt, nachmittags war meist frei, wenn nicht Ausflüge angesetzt waren, so nach Struga oder Sveti Naum oder an den Prespa-See. Bemerkenswert fand ich, dass die Lektoren und Professoren recht leger gekleidet waren. Wenn es warm war, trugen sie meist nur ein Unterhemd, das bei steigenden Temperaturen hochgerollt wurde, so dass es wie eine Binde unter der Achsel aussah. Völlig entblößt wurde der Oberkörper aber nicht. An freien Nachmittagen ging ich gerne nach Kaneo, dessen Kirche mir gefiel, auch schwimmen konnte man dort, oder ich stieg zur Ruine der Samuilsfestung, die damals noch frei zugänglich und nicht restauriert war. Stundenlang saß ich dann auf den Mauern und las den Roman Цар Самуил von Dragan Taškovski. 

Nach dem Sommerkurs in Ohrid fuhr ich nach Skopje, wo ich mich nach Studienmöglichkeiten erkundigte, da ich mich mit dem Gedanken trug, meinen Studienplatz näher an den Aufenthaltsort meiner bulgarischen Freundin heranzutragen. Natürlich erkundete ich auch gründlich Skopje und die Umgebung. Beeindruckt hat mich ein Gespräch mit einem Jungen auf der Kale, der Stadtfestung von Skopje. Er berichtete mir von dem Erdbeben, das er 1963 von dort oben aus miterlebt hatte und das ihn noch immer so aufwühlte, dass er eine Zigarette brauchte. Er war Türke und lebte im Albanerviertel, so dass er mit Türkisch und Albanisch aufgewachsen war, dazu kamen in der Schule Makedonisch, Serbokroatisch und Englisch. Eine solch breite Sprachkenntnis bei einem Schulkind war im Vergleich zu deutschen Verhältnissen doch etwas Besonderes. 

Schließlich fehlte mir nur noch eine makedonische Freundin, um mich in dieser Sprache weiterhin durch Korrespondenz üben zu können. Ich erwog, dass ein Museum ein guter Platz sei, wo ich solch eine Freundin würde finden können, und ging daher zur Touristeninformation, um etwas über Museen in Skopje zu erfahren. Aber da brauchte ich auch schon gar nicht mehr zu suchen, denn in der Information saß Pavlinka, glühende makedonische Patriotin, die sich darüber ärgerte, dass viele Makedonen schlecht Makedonisch sprachen und zu viele serbische Wörter in ihre Rede flochten. Ich besuchte sie jeden Tag und holte mir Tipps für weitere Unternehmungen. In Erinnerung geblieben ist mir ein Ausflug zu einem Kloster nördlich der Stadt, den ich ohne ausreichende Verpflegung antrat. Unterwegs begegnete ich einer Gruppe Albaner mit Maultieren, die mich einluden, auf ein lediges Maultier aufzusitzen und so bequemer voranzukommen. Auch das war für mich eine ungewohnte neue Erfahrung, vor allem, weil ich oftmals meinen Schritt anders gesetzt hätte als das Maultier es tat, und ich musste mich daran gewöhnen, die Entscheidung ihm zu überlassen. Bald aber trennten sich die Albaner von mir, und ich war wieder allein. Als ich schließlich das Kloster erreichte, hatte ich großen Hunger. Die Kartoffelsuppe und die dazu gereichten rohen Zwiebeln und Brot, die ich dort erhielt, waren für mich eine köstliche Mahlzeit.

Schließlich aber musste ich Skopje verlassen und nahm den Bus nach Sofia. Der Bus gehörte einem bulgarischen Unternehmen, und nur der Fahrer sprach Schriftbulgarisch; ich war der einzige Ausländer und hatte zunächst Makedonisch gesprochen, merkte dann aber, dass alle anderen Mitreisenden zwar für mich verständlich sprachen, ich aber unmöglich sagen konnte, ob es sich um Makedonen oder Bulgaren handelte. Ich lernte, dass die beiden Schriftsprachen zu einem einzigen Dialektkontinuum gehören und die Staatsgrenze willkürlich ist. 

Eigentlich wollte ich zu meiner bulgarischen Freundin reisen, die aber in Plovdiv noch mit Prüfungen beschäftigt war, so dass ich noch Zeit hatte, die ich allein ausfüllen sollte. Hotels in Sofia waren für mich unerschwinglich, so dass ich mich an eine Vermittlung für Privatzimmer wandte, über die Zimmer für den stolzen Preis von DM 10 zu haben waren (soviel zahlte ich anderswo für ein Hotel). Durch das Privatzimmer bei der guten Frau Popova in der Sofioter Altstadt kam ich allerdings in Kontakt zu Menschen am Rande der Legalität. Ich saß noch beim Begrüßungskaffee mit Frau Popova, als ein junges Mädchen hereinkam und mich direkt fragte, ob ich eine Freundin habe. Ich war etwas verwundert, verneinte aber. Es stellte sich dann heraus, dass dieses Mädchen, Alice, gehofft hatte, dass ich zusammen mit einer (deutschen) Freundin reise, die bereit wäre, ihr ihren Pass zu überlassen, damit sie illegal ausreisen könne. Alice war Ungarin und verliebt in einen Deutschen aus der DDR. Noch bevor sie sich verliebt hatte, hatte sie für einen Besuch der Schweiz einen Pass bekommen; statt aber nach Ablauf des Visums zurückzukehren, hatte sie die Gelegenheit wahrgenommen und war kreuz und quer durch Westeuropa gereist. Als die zweijährige Gültigkeit ihres Passes auslief, hatte sie nach Hause geschrieben und um Verlängerung des Passes nachgesucht, wurde aber nur aufgefordert, umgehend nach Budapest zurückzukehren. Der Pass wurde ihr abgenommen, einen neuen würde sie nie mehr bekommen. Damit war sie im Ostblock eingeschlossen. Ihr deutscher Freund hatte mittlerweile Republikflucht begangen, lebte nun im Westen ohne die Chance, noch einmal in den Ostblock reisen zu können. Sie hatten dann verabredet, dass er, der inzwischen in İstanbul war, sie von dort aus herausschmuggeln wollte. Sie war daraufhin nach Sofia gereist, im Gepäck nur westliche Kleidung, um nicht aufzufallen, sie sprach auch perfekt Deutsch. Sie saß nun in Sofia fest und wartete auf Post, während Frau Popova sich Sorgen um sie machte, weil nicht einmal zum Essen das Haus verließ. Schließlich hatte Alice sich bereit erklärt, essen zu gehen, und gerade in dieser Zeit kam die Post, die Frau Popova, da sie neugierig war, sofort öffnete und las. Da sie ein gutes Herz hatte, wie sie selbst immer wieder betonte, durfte Alice von da an das Zimmer nicht mehr bezahlen und wurde offiziell abgemeldet, durfte aber weiter dort wohnen bleiben, musste aber mit Frau Popova im selben Bett schlafen, wenn das Privatzimmer anderweitig vermietet war. Frau Popova empfing allerdings auch häufig Herrenbesuch, so dass Alice dann oft erst deren Weggang in das noch warme Bett zu Frau Popova kam. Frau Popova nutzte auch ihre Beziehungen, um Alice zu helfen. Auf Alices Bitten war ich bei einem der Gespräche dabei, als es darum ging, Alice in einem plombierten Lastwagen über die Grenze in die Türkei zu schmuggeln. Bevor der betreffende hilfsbereite Herr erschien, legte Frau Popova Handtücher an alle Türen, so dass der Gast, ein Perser, die Türklinken nur mit den bereitgelegten Handtüchern anfassen musste. Bei sich trug er einen Plastiksack mit Geld in verschiedensten Währungen. Auf meine Frage nach seiner Tätigkeit, behauptete er, er besäße eine Fabrik im Iran, und als ich fragte, was er denn produziere, hieß es „alles“. Die ganzen Umstände nötigten mich, Alice zu empfehlen, sich auf das Geschäft nicht einzulassen; in die Türkei wäre sie vermutlich gekommen, aber ihr weiteres Schicksal wäre wohl sehr unbestimmt gewesen.

Damit freilich scheiterte ihr Absicht, von Sofia aus in die Türkei zu gelangen, sie musste nach Hause zurückkehren, denn ihr Urlaub ging bereits zuende. Dabei war sie mit Nerven fertig, so dass sie kaum ins Arbeitsleben zurückkehren konnte. Ich schlug ihr daher vor, da es keinen Sinn hatte, länger in Sofia abzuwarten, wenigstens die letzten paar Tage richtigen Urlaub zu machen. Dazu fuhren wir gemeinsam nach Nesebăr und verbrachten ein paar faule Tage in dem Städtchen und am Strand in Slănčev brjag, bevor sie über Varna nach Budapest zurückkehrte. In Nesebăr lernte sie noch ein paar finnische Journalisten kennen, und es entstand die Idee einer Scheinhochzeit mit einem Finnen, die ihr die Ausreise nach Finnland ermöglichen würde. Ein Jahr später, als ich sie in Budapest besuchte, platzte ich mitten in eine große Verlobungsfeier, doch konnte sie mir unter diesen Umständen keine Details mitteilen, versprach lediglich, mir zu schreiben, wenn sie „draußen“ sei. Diese Mitteilung habe ich freilich nie bekommen, so dass ich nicht weiß, was aus ihr geworden ist. 

Kurz nach der Abreise von Alice aus Nesebăr erhielt ich ein Telegramm meiner bulgarischen Freundin, die nachfragte, wann ich denn nun endlich nach Plovdiv käme. Ich fand die Vorwürfe unberechtigt, fuhr aber gleich zu ihr. Hier wurde sofort mein Bulgarisch kritisiert, das völlig serbisch geworden sei (so schnell hatte ich wohl nicht alle makedonische Aussprachegewohnheiten wieder ablegen können, zumal ich mit Alice nur deutsch gesprochen hatte). Nach bulgarischen Moralvorstellungen war es mir nicht einmal gestattet, das Studentenheim, in dem meine Freundin wohnte, zu betreten, so das ich mir anderweitig Quartier besorgen musste. (Anders war das in Nesebăr gewesen, wo man keine Probleme damit hatte, mich zusammen mit Alice einen Bungalow mieten zu lassen; was Ausländer untereinander möglicherweise trieben, interessierte nicht. Allerdings habe ich später 1986 auch da anderes erlebt, als ich mit meiner Frau und ihrer Tochter nach Sofia kam. Da wurde uns an der Rezeption vorgeschrieben, dass meine Frau mit ihrer Tochter das Doppelzimmer zu nehmen hätten und ich das Einzelzimmer.)

Ich quartierte mich also, da Plovdiv ein zu teures Pflaster für meinen Geldbeutel war, in Asenovgrad im Hotel „Moskva“ ein und fuhr von dort aus jeden Tag nach Plovdiv, oder Marijana kam zu mir, und wir wanderten gemeinsam zum Kloster Bačkovo. Im Hotel „Moskva“ hatte ich kein Zimmer gemietet, sondern nur ein Bett, so dass ich oft täglich wechselnd andere Zimmergenossen hatte. Einmal kam ich abends ins Hotel und wurde an der Rezeption aufgehalten. Durch ein Versehen hatte man das Zimmer an Mädchen vermietet, und obwohl mein Bett frei war, konnte ich natürlich nicht in mein Zimmer. Stattdessen nächtigte ich dieses eine Mal im Zimmer des Chauffeurs unter dem Dach zusammen mit ein paar Ratten. Schließlich aber kam das Ende meines Urlaubs, und ich kehrte mit dem internationalen Zug aus İstanbul, den ich dieses Mal in Plovdiv bestieg, nach Hause zurück. In München stiegen einige ältere Damen zu, die Platz in meinem Abteil fanden, weil meine Mitreisenden in München ausgestiegen waren. Ich hatte keine Lust zu reden und war in Gedanken noch in Bulgarien, so saß ich ruhig in meiner Ecke und las ein bulgarisches Buch. Die Damen kamen von einem Besuch des Obersalzbergs und unterhielten sich ausführlich darüber und priesen den guten Geschmack des Führers. Allmählich aber hatten sie das Thema erschöpfend behandelt und kamen nun auf mich zu sprechen. Zuerst rümpften sie nur die Nase über den stinkenden Ausländer (nach zwei Tagen Zugfahrt habe ich sicher nicht geduftet), dann gingen sie näher darauf ein, wie man solche Individuen richtig behandelt haben würde … Ich sagte die ganze Zeit nichts dazu und habe den Damen in Köln, wo ich ausstieg, dann nur noch auf Deutsch eine gute Weiterfahrt gewünscht. Ich hoffe, sie haben sich geschämt.    

Im Wintersemester 1970/71 verliebte ich mich in Bonn in eine amerikanische Austauschstudentin, die letztlich zum Ende meiner Beziehung zu Marijana beitrug. Auch mit Mary unternahm ich Reisen, allerdings nur innerhalb Deutschlands: in den Osterferien unternahmen wir eine Tour an die Bergstraße und besuchten Darmstadt, Bensheim, Lorsch, Auerbach, Heidelberg, Worms und Mainz und kehrten von dort mit dem Schiff nach Koblenz und dann mit dem Zug nach Bonn zurück. Die Pfingstferien nutzten wir für eine Reise in den Norden: über Bremen, Hamburg und Cuxhaven ging es nach Brunsbüttelkoog und dann nach Schenefeld und Wacken, wo wir in alten Kirchenbüchern erfolgreich nach Spuren von Marys Vorfahren suchten, die in den 1870er Jahren von hier nach Amerika ausgewandert waren. Den Abschluss der Reise bildeten Lübeck und Travemünde. Noch im Juni unternahmen wir auch eine dritte Reise, die uns nach Nürnberg, Rothenburg ob der Tauber, Dinkelsbühl und dann nach Füssen führte, von wo aus wir die Schlösser Hohenschwangau und Neuschwanstein besichtigten. Auf der Rückfahrt per Anhalter hatten wir das Glück, in einem Mercedes die ganze Strecke von München nach Bonn mitgenommen zu werden, so dass wir ungewohnt bequem und schnell zurückkehrten.  

Im Sommer 1971 plante ich eine große Balkanreise. Ich hatte ein Stipendium für die serbokroatische Sommerschule in Zadar und Novi Sad erhalten und meinen Urlaub da herum geplant. Die Anreise erfolgte mit dem Zug nach Rijeka, die Rückreise mit dem Zug aus Wien. Dazwischen aber lag eine Rundreise, die mich durch Dalmatien, Serbien, Bulgarien, Rumänien und Ungarn führte. 

Das erste erstaunende Erlebnis war die Ankunft in Rijeka, als ich erstmals Palmen direkt am Meer sah, dazu die warme Luft, es war ganz etwas Neues. Im Zug hatte ich zwei Mädchen, Irmgard und Marianne, aus Heilbronn kennengelernt, die sich mir anschlossen. Gemeinsam erkundeten wir Rijeka, dann auch die Insel Krk und die Stadt Senj. Zu den Plitvicer Seen, die Deutschen vertraut waren durch die dort gedrehten Karl-May-Filme, fuhr ich freilich allein. Während Zadar das Ziel meiner Reise war, fuhren die beiden Mädchen weiter bis Dubrovnik. Allerdings hatten sie denselben Fehler gemacht wie ich bei meiner ersten Balkanreise, und führten zuviel Gepäck mit. Ihre Koffer ließen sie daher bei mir in Zadar und reisten mit leichtem Gepäck weiter; auf der Rückreise holten sie die Koffer wieder ab. 

Der Sommerkurs in Zadar umfasste Serbokroatisch (kroatische Variante), außerdem obligatorisch eine Einführung in eine weitere „jugoslavische Sprache“, für mich hieß das Slovenisch, soviel man in vier Wochen lernen kann. Ein Ausflug führte auch in das nahe Nin. Eine schöne Erinnerung habe ich auch an einen netten Abend, den ich mit zwei Kollegen vom Sommerkurs und zwei kroatischen Studentinnen, die wir dort kennengelernt hatten, verbrachten. Auf Anregung der älteren der Kroatinnen gingen wir in tiefer Nacht schwimmen, eine für mich neue Erfahrung, weil das Wasser sich sehr warm anfühlte, und darüber schwirrten Glühwürmchen. Die ältere Kroatin interessierte sich vor allem für den einzigen von uns dreien, der verheiratet war. Schließlich zogen wir übrigen uns zurück und ließen das verliebte Paar allein, aber keine Viertelstunde später kam uns unser Kollege ins Hotel nach. Nach unserem Weggang hatte die Studentin ihren Preis genannt. Daraus wurde dann nichts, was uns aber nicht daran hinderte, uns an den folgenden Tagen einige Male mit den Studentinnen zu treffen. Der Sprachkurs selbst war ansonsten relativ ereignislos. Lustig fand ich, dass mein Zimmerkamerad, der vorher in einem jugoslavischen Jugendlager in Makarska gewesen war, nach für dieses Milieu typischer Art beim Nacherzählen kroatischer Texte wie Interpunktionszeichen den Fluch „boga mi“ einstreute, was den Lektor, einen distinguierten Herrn, jedes Mal zum Nachfragen veranlasste. 

Spannend wurde es erst, als der Transfer nach Novi Sad für den zweiten Teil des Kurses anstand. Die Leitung der Sommerschule flog voraus, um dort alles zu organisieren, wir sollten auf dem Landwege folgen, und zwar mit der Eisenbahn, sogar 1. Klasse. Das allerdings erwies sich als problematisch, denn es wären zwei Wagen 1. Klasse erforderlich gewesen, um uns alle unterzubringen, es gab in Zadar aber nur einen. Es galt als ausgeschlossen, dass man uns mit Fahrkarten 1. Klasse in einen Wagen 2. Klasse gelassen hätte, also mussten wir uns alle in den einen Wagen drängen. Man versicherte uns, in Knin gäbe es einen zweiten 1.-Klasse-Wagen. Die Fahrt war herrlich, gemütlich ging es im Schritttempo durch die Berge. Natürlich waren bei der Wärme Fenster und Türen geöffnet, wir saßen auch auf den Trittbrettern der geöffneten Türen, oft versucht, im Vorüberfahren Blumen zu pflücken. Gegen Abend erreichten wir Knin, wo es aber den versprochenen zweiten 1.-Klasse-Wagen auch nicht gab. Also ging die Drängelei weiter die ganze Nacht hindurch. Eine Tschechin hatte sich einen Sitzplatz auf dem Klo ergattert und schlief dort, einen großen Teddybären im Arm. Die Übrigen wechselten sich ab zum Schlafen auf dem Boden des Gangs und in den Abteilen. Folge der Überfahrt war die Entstehung einer fest geschmiedeten Gruppe: wir waren alle beste Freunde geworden, worunter freilich die Disziplin sehr litt.

In Novi Sad lernten wir Serbokroatisch in der serbischen Variante, aber meist waren wir beim obligatorischen Unterricht todmüde, weil bis spät in die Nacht hinein wir getanzt und gefeiert hatten: zuerst im Hotel, dann manchmal noch im Haus des Soldaten, wo man noch länger tanzen konnte, dann auf den Zimmern, wobei auch der Alkohol reichlich floss. Nach den Sprachkursen gab es dann erst einmal einen starken Kaffee, und nach dem Mittagessen wurde der nötige Schlaf nachgeholt. Das Mittagessen war freilich nicht immer so gut. Gleichzeitig war in dem Hotel eine Jagdgesellschaft untergekommen, und des Öfteren bekamen wir zu Mittag das vorgesetzt, was die Jäger von ihrer Jagdbeute übrig gelassen hatten. Ich werde nicht vergessen, dass sich auf meinem Teller einmal Wildschwein fand in der Form eines Kieferknochen mit ein paar Fleischfasern und zwei Zähnen. Danach allerdings sind wir zu einem richtigen Essen nach Petrovaradin gegangen, wo leider wieder so viel Alkohol floss, dass ich mich an Details nicht erinnern kann. Ich erinnere mich aber, dass ich einmal nach dem erholsamen Nachmittagsschlaf zur Rezeption kam, um die täglich abzuholenden Essencoupons zu erbitten. Man gab sie mir für das Abendbrot, was mich erstaunte, denn ich erwartete die für das Frühstück. Ich hatte vermeint, nicht nur den Nachmittag, sondern auch die ganze Nacht durchgeschlafen zu haben. Da das nicht der Fall war, war mir nur der für den Nachmittag angesetzte Ausflug nach Belgrad entgangen, nicht aber die Ganztagestour des folgenden Tages zu den serbischen Klöstern Sremska Kamenica, Hopovo, Topola, Aranđelovac und Manasija. 

Schließlich aber endete der Kurs, die meisten Teilnehmer fuhren nach Hause. Ich hatte viele Bücher eingekauft, die mich auf der weiteren Reise behindert hätten, aber glücklicherweise fanden sich zwei Kölner Studentinnen, Inge und Susanne, die direkt nach Hause fuhren und bereit waren, meinen schweren Koffer mit all den Bücher, nicht benötigter Kleidung und Alkoholika nach Köln mitzunehmen, wo mein Vater sie dann in Empfang nahm. Natürlich brachte ich sie zum Zug, hatte aber versäumt, ihnen zu sagen, dass sich in meinem Koffer auch Alkohol befand. Selber hatten sie natürlich auch Šljivovica eingekauft, gaben aber bei der Zollkontrolle ruhigen Gewissens an, nicht mehr als die erlaubte Menge bei sich zu haben. Es ist aber alles gut gegangen, erst in Köln merkten sie, was sie da geschmuggelt hatten.

Ich konnte so erleichtert meine Reise mit geringem Gepäck (Rucksack) fortsetzen, zunächst mit dem Zug nach Plovdiv, wo ich noch einmal Marijana traf, aber die Beziehung war bereits gestört, und ich reiste bald weiter nach Tărnovo und dann nach Ruse. Von dort ging ich zu Fuß über die Brücke der Freundschaft auf die rumänische Seite. Der Grenzübertritt war etwas ungewöhnlich. Auf bulgarischer Seite gab es ein kleines Häuschen mit Grenzbeamten, das ich übersehen hatte. Ich war also mit meinem Rucksack schnurstracks auf die Brücke der Freundschaft gegangen und hatte schon die halbe Donau überquert, als ich auf einen bulgarischen Soldaten stieß, der meinen Pass sehen wollte. Da fehlte ein Stempel der bulgarischen Grenzbehörde, also musste ich zurück, durfte aber meinen Rucksack solange bei ihm deponieren. Ich lief also zurück, holte mir den Stempel, hielt noch einen Plausch mit dem Soldaten und ging dann auf die rumänische Seite hinüber. Hier stand nicht éin Soldat, sondern vier hintereinander mit Abstand, von denen keiner sich für meinen Pass interessierte, sondern alle nur nach Zigaretten fragten, die ich als Nichtraucher leider nicht hatte. Einen Stempel in den Pass bekam ich aber schließlich doch. Dann machte ich mich zu Fuß auf den Weg nach Giurgiu, konnte aber bald ein Auto anhalten und kam so bequem nach Bukarest. In Bukarest hatte ich eine Brieffreundin, Mihaela, die mich zum Besuch eingeladen hatte.

Mihaela begleitete mich auch zu Besichtigungen ihrer Stadt, vor allem das Patriarchat und das Dorfmuseum Herăstrău. Ansonsten ist mir im Gedächtnis geblieben, dass ich auch bei einer Familienfeier dabei war, nach der es zu spät war, um noch nach Hause zurückzukehren, und so nächtigten wir mit acht Personen auf einem Sofa! Wir lagen wie die Heringe nebeneinander mit den Köpfen und Oberkörpern auf dem Sofa, Unterkörper und Beine auf dem Couchtisch. Solch eine raumsparende Schlafgelegenheit kannte ich bis dahin noch nicht.

Obwohl ich meinen Aufenthalt in Bukarest länger als geplant ausgedehnt hatte, musste ich schließlich doch weiter, um den Zug in Wien zu erreichen. Allerdings blieb keine Zeit mehr für weitere rumänische Orte, so dass ich mit dem Zug direkt nach Oradea an der ungarischen Grenze fuhr. Mit einem Bus ging es von dort direkt zur Grenze, doch wurde ich abgewiesen: ich brauche ein Foto für das ungarische Visum. Also musste ich in die Stadt zurückfahren, einen Fotografen suchen, mich fotografieren lassen und dann einige Stunden auf die Entwicklung des Films warten. Es war ein schauderhaftes Regenwetter, das zu Stadtbesichtigung nicht einlud, so dass ich ins Kino ging. Es gab einen rumänischen Krimi mit ungarischen Untertiteln, und obwohl ich besser Rumänisch als Ungarisch beherrschte, las ich automatisch immer die Untertitel und verstand dadurch den Film nicht ganz so gut. Am Abend konnte ich die Fotos abholen und wieder zur Grenze fahren. Hier aber wurden nun die Grenzbeamten misstrauisch. Ich hatte einen neuartigen deutschen Pass, bei dem das Foto nicht eingenietet, sondern eingefalzt war. Das kannten die rumänischen Grenzbeamten offenbar noch nicht, jedenfalls fummelten sie immer wieder an dem Foto herum und ließen insgesamt dreimal meinen Rucksack auspacken und inspizierten jedes Teil genau. Als sie merkten, dass ich ihr Rumänisch verstand, unterhielten sie sich in meiner Gegenwart nur noch auf Ungarisch, das ich aber auch verstand. Schließlich ließen sie mich laufen, weil sie mir nichts nachweisen konnten; sie hielten aber meinen Pass für gefälscht.

Inzwischen war es finstere Nacht. Ich ging also zu Fuß hinüber zur ungarischen Grenzstation, wo es keine Probleme gab, allerdings bedeutete man mir, ich solle diese Nacht dort schlafen, weil der letzte Bus zum nächsten Bahnhof, den ich eigentlich hatte nehmen wollen, längst fort war. Ich hatte aber keine Lust, mir Vorschriften machen zu lassen und ging also zu Fuß weiter zum Nachbarort mit dem Bahnhof. Unterwegs wurde ich von einem ungarischen Grenzsoldaten auf einem Fahrrad, Gewehr umgehängt und Hund an der Seite, abgefangen, der sich genau nach Woher und Wohin erkundigte, mir dann aber freundlich gestattete, meinen Rucksack auf sein Fahrrad zu stellen. Er begleitete mich bis zum Bahnhof. Allerdings half das nichts, weil auch der Zug längst weg war, der nächste fuhr gegen Morgen um vier Uhr. Es warteten aber auch andere Menschen in dem ungeheizten Wartesaal. Es war sehr kalt, und auch der Zug, der schließlich kam, war ungeheizt, so dass die Fenster auf der ganzen Strecke bis Budapest beschlagen blieben. In Budapest stieg ich wieder bei meiner alten Freundin Judit ab und besuchte auch Alice, die ich im Jahr zuvor in Sofia kennengelernt hatte. Auf der Straße traf ich außerdem zufällig einen Teilnehmer des serbokroatischen Sprachkurses, dem ich zuvor ebenfalls zufällig bereits in Sofia auf der Straße über den Weg gelaufen war. Es gibt schier unglaubliche Zufälle. Den Abschluss der Reise bildete dann Wien, wo ich eine weitere neue Bekannte vom Sprachkurs besuchte und dann den Zug zurück nach Hause nahm. 

Im Oktober gab es noch einen Ausflug in das Elsass. Meine Schwester arbeitete in Dambach-la-Ville bei der Weinlese, und wir holten sie dort mit dem Auto anschließend wieder ab und lernten dadurch nicht nur Dambach, sondern auch Straßburg kennen.

Auch im folgenden Jahr 1972 unternahm ich im Frühjahr noch einmal eine Reise mit meinen Eltern, die uns durch Württemberg (Backnang, Urach, Lichtenstein) an den Bodensee (Überlingen, Mersburg) nach Vorarlberg (Feldkirch) und Liechtenstein (Vaduz) führte, dann über den Lago Maggiore nach Italien: Orta, Piemonte, Genova, Varazze, Parma, Reggio nell’Emilia, Mòdena, Bologna, Ravenna, Padova und noch einmal Treviso, das wir von 1967 kannten. Beeindruckt hat mich vor allem Ravenna, aber auch die anderen Städte hatten ihren Reiz. Bemerkenswert war auch ein Kultur-Schock-Erlebnis, als wir in einem Restaurant nach unseren Vorstellungen Essen bestellten, dann aber belehrt wurden, das seien nur Vorspeisen. Die aber genügten vollkommen. Zum Abschluss kam ein großer Korb mit Obst auf dem Tisch, und in Unkenntnis der Landessitten schafften wir es mit Mühe so gerade, alles Obst aufzuessen als sozusagen zweiten Gang. Von Haus aus waren wir ja daran gewöhnt, dass, was auf den Tisch kam, auch aufgegessen werden musste.

Für den Sommer erhielt ich dieses Mal direkt eine Einladung zum Sommersprachkurs nach Skopje und Ohrid, außerdem hatte ich mich zum Welttreffen der Esperanto-Jugend angemeldet, das in Thorn stattfinden sollte, dazu zu einem Vorkongress in Warschau und einem Nachkongress in Danzig. Inzwischen war ich nicht mehr so reichlich mit Urlaub ausgestattet, aber für den Sprachkurs durfte ich Dienstzeit (ich war ja inzwischen studentische Hilfskraft im Slavistischen Seminar) in Anspruch nehmen, weitere Urlaubszeit konnte ich durch Vorarbeiten ansammeln. 

Die Reise begann also mit der Zugfahrt nach Warschau. Im Zug lernte ich eine Frau kennen, die im Konzentrationslager gewesen war und noch eine entsprechende Tätowierung am Handgelenk aufwies. Obwohl sie Deutsch verstand, weigerte sie sich, diese Sprache zu sprechen, ihr Hass auf das Deutsche war ja nur zu verständlich. Ich unterhielt mich länger mit ihr auf Polnisch, und sie war liebenswert zu mir. Wir jungen Leuten sollten kommen und seien willkommen, nur mit der älteren deutschen Generation wollte sie nichts zu tun haben. 

Der erste Abend in Warschau war dem gegenseitigen Kennenlernen der Kongressteilnehmer gewidmet, von den Polen vorzüglich organisiert und eingeleitet durch eine Polonnaise. Eine Gruppe polnischer Mädchen kam die breite Treppe heruntergetanzt und leitete den allgemeinen Tanz ein. Meine Tanzpartnerin, mit der ich den Abend verbrachte, hielt ich wegen ihres Typs für eine Italienerin, und erst im Laufe des Abends erfuhr ich, dass sie Litauerin war, Ksaverija. Erstmals war für uns Esperanto ein wirklich notwendiges Kommunikationsmittel. Mit einer Italienerin hätte ich mich ja auch auf Italienisch unterhalten können, aber mein Litauisch hätte dafür nicht gereicht. Wir blieben in Warschau und dann auch in Thorn die meiste Zeit zusammen und später noch jahrelang in Briefkontakt. Ksaverija musste allerdings von Thorn aus nach Hause zurückfahren, so dass sie in Danzig nicht mehr dabei war. In Erinnerung geblieben ist mir ein Ausflug auf der Weichsel, bei dem die Gruppe der Litauerinnen am Heck sitzend litauische schwermütige Weisen sangen, die wunderbar mit der Landschaft harmonierten. Organisierte Ausflüge führten uns auch nach Kulm (Chełmno) und Graudenz (Grudziądz), wobei mich letzterer Ort etwas mehr interessierte, weil Vorfahren von mir von dort aus mit Jan Sobieski nach Wien gekommen waren. 

Zwischen dem Ende des Kongresses in Thorn und dem Nachkongress in Danzig unternahm ich allein einen Abstecher nach Stettin, wo ich eine Brieffreundin, hatte, mit der ich auf Esperanto korrespondierte. Der Zug hatte viel Verspätung, und so kam ich tief in der Nacht nach Stettin, so spät, dass ich es nicht mehr wagte, noch meine Freundin Bogdana zu besuchen, zu spät aber auch, dass ich bereit gewesen wäre, mir ein teures Hotelzimmer zu leisten. Also machte ich es mir auf einem Trümmergrundstück in einem Busch bequem und schlief im Freien. Das hätte ich freilich besser nicht getan. In der Nacht erwischte mich eine Spinne, und ich hatte eine Woche lang ein dick geschwollenes Bein, so dass ich von dem Nachkongress in Danzig nicht viel hatte (an Tanzen war nicht zu denken). Am nächsten Morgen besuchte ich dann Bogdana und überredete sie, mit mir nach Danzig zu fahren. Ihr Esperanto war recht rudimentär, so dass wir bald zum Polnischen übergingen, und so konnte ich dann in Danzig bei der Stadtführung, die wir natürlich auf Esperanto erhielten, für sie als Dolmetscher fungieren. Das Übersetzen aus einer Fremdsprache (Esperanto) in eine andere (Polnisch) erfuhr ich dabei als gar nicht so einfach, einfach ungewohnt. 

Nach dem Ende des Nachkongresses fuhr ich weiter nach Breslau, wo ich, als ich im Hotelzimmer das Radio einschaltete, zu meinem Erstaunen mich selbst hörte. In Thorn hatte man mich interviewt, und das Interview wurde zufällig gerade im Esperanto-Radio ausgestrahlt, als ich in Breslau eintraf. Von Breslau wollte ich weiter nach Wien, doch gab es dafür keine Fahrkarten; ich musste nach Krakau fahren und dort umsteigen. Es klappte alles gut, nur hatte ich keine Fahrkarte von Krakau nach Wien, sondern nur bis zur Grenze erhalten können. Bei der Fahrkartenkontrolle im Zug musste ich dann meinen Pass abgeben, damit man mir eine Fahrkarte besorge, so dass ich bei der tschechischen Grenzkontrolle ohne Pass und Fahrkarte war. Es war aber kein Problem, und kurz vor der österreichischen Grenze erhielt ich den Pass mit den nötigen Stempeln und die Fahrkarte und konnte dann auch gleich noch die Fahrkarte für die österreichische Strecke nachlösen. In Wien hielt ich mich nicht auf, sondern nahm den nächsten Zug nach Dorfgastein, wo meine Eltern Urlaub machten. Drei Tage blieb ich dort und unternahm auch wie früher Bergtouren, dann aber ging es weiter nach Süden.

Wir hatten verabredet, dass ich von Polen aus nach Dorfgastein kommen sollte, meine Eltern wollten mich dann im Auto nach Skopje begleiten, so dass ich ihnen Dalmatien zeigen konnte. Mein Vater hatte nie eine Fremdsprache gelernt, meine Mutter nur Englisch, und so traute vor allem er sich nicht ins nicht deutschsprachige Ausland außer nach Lommel in Belgien, wo sein gegen Ende des Krieges gefallener Bruder auf der Kriegerfriedhof lag. Dort aber sprach man Deutsch, und das Niederländische war meiner Mutter vom Plattdeutschen her verständlich. Die einzigen Ausnahmen waren bis dahin unsere Abstecher 1967 nach Treviso und Venedig und 1969 nach Paris und Ungarn gewesen, wo ich jeweils als Dolmetscher fungiert hatte. Das sollte nun auch in Jugoslavien so sein. (Später allerdings haben meine Eltern allein auch Reisen ins slavische Ausland unternommen, nachdem meine Mutter durch einen guten Fernsehkurs und weniger gute Volkshochschulkurse recht gut Russisch gelernt hatte und sich vor einer Polenreise auch ins Polnische relativ gut eingelesen hatte.)

Die gemeinsame Reise führte uns zunächst nach Zagreb und dann an die Adria, wo wir die mir schon bekannten Orte Rijeka, Senj, die Plitvicer Seen und Zadar besuchten, dann die mir noch unbekannten Insel Ugljan. Weiter ging es danach auf der Küstenstraße nach Šibenik, Trogir und Split. Um auch etwas anderes kennenzulernen als immer nur die Küste, wandten wir uns dann landeinwärts und erreichten die Festung Počitelj rechts liegen lassend schließlich Mostar mit seiner berühmten herrlichen Brücke über die Drina. Die Stadt gefiel uns ausnehmend gut. In einem zur Besichtigung freigegebenen traditionellen türkischen Haus wurde uns abschließend Rosenblütenblätterlimonade kredenzt. Überraschend für uns aber war, dass der Hausherr, als seine Frau auftauchte, uns diese mit den Worten vorstellte, das sei seine „schöne fette Frau“. 

Anschließend kehrten wir auf die Küstenstraße zur Küste zurück, allerdings nicht direkt: wir machten noch einen weiteren Abstecher ins Inland, auf dem Straßen allerdings so schlecht wurden, dass wir bis zum Abend mit Mühe nur Trebinje erreichten. Wir fühlten uns wie am Ende der Welt. Am nächsten Tag kehrten wir an die Adria zurück, wo uns Dubrovnik erwartete. Alle Städte an der Adria hatten große Faszination auf uns ausgeübt, wurden aber übertroffen von Dubrovnik, das wir als Stadt der Katzen erlebten. Auch damals war die Stadt sehr touristisch, die Hotelpreise ungeheuer, so dass wir nur weit außerhalb ein bezahlbares Quartier fanden, aber die Stadt lebte noch anders als bei meinem letzten Besuch 2012. Heute ist sie totsaniert: alle Ritzen in den Dächern der Altstadt sind mit Beton verschmiert, so dass kein Spatz mehr ein Plätzchen findet, wo er sein Nest bauen könnte, und mit den Spatzen sind auch die Katzen verschwunden.

Nach Dubrovnik ging es weiter über Hercegnovi und Kotor, wo wir keinen Aufenthalt einlegten, nach Cetinje, am nächsten Tag dann über Titograd (heute wieder Podgorica) in die Albanischen Alpen. Der Weg eröffnete fantastische Ausblicke auf den Shkodër-See und schlängelte sich dann hinauf zum Čakor-Pass. Glücklicherweise machten wir gerade Rast, als ein Lastwagen an uns vorüberraste, dessen Bremsen versagten. Er hatte Baumstämme geladen, die sich bei dem übermäßigen Tempo bereits teilweise losgerissen hatten und quer über die Breite der Straße hingen. Im Tal fanden wir dann bei der Weiterfahrt den Lastwagen, es war alles glimpflich verlaufen; lediglich bei einem Fuhrwerk hatte ein querhängender Baumstamm die Pferde zu Fall gebracht, aber auch sie lebten und waren nicht erkennbar verletzt. Unser Quartier machten wir in Peć, zuvor aber besuchten wir das Dečani-Kloster. Als wir zum Parkplatz zurückkehrten, war der Wagen verschwunden, so schien es. Der alte VW war nach der Fahrt über den Pass schier verschwunden unter einer Staubschicht, aber während wir das Kloster besichtigten, hatten einheimische Kinder ihn gewaschen und auf Hochglanz poliert, was mein Vater mit einem entsprechenden Obolus belohnte. Am nächsten Tag ging es dann über Prizren nach Skopje, wo ich am Straßenrand ausstieg, was meiner Mutter gar nicht gefiel; meine Eltern kehrten dann auf dem schnellsten Wege über den Autoput nach Österreich zurück.

Der Sprachkurs wurde in Skopje eröffnet, dann aber fuhren die Teilnehmer gemeinsam über Tetovo und Debar nach Ohrid. Besondere Vorkommnisse gab es hier nicht, es lief alles ähnlich ab wie zwei Jahre zuvor. Erwähnenswert ist allein noch, dass ich einmal allein einen Tagesausflug in die Berge (Galičnica) unternahm. Es erstaunte mich, dass ich von den wenig zahlreichen Menschen, denen ich unterwegs begegnete, regelmäßig gefragt wurde, ob ich aus Holland käme. Später, ich saß am Wegesrand zu einer Rast, hörte ich plötzlich Musik. Ein Flurwächter kam auf einem Maultier vorbeigeritten, das Kofferradio am Sattelknauf, das Gewehr geschultert. Ich grüßte ihn freundlich, was ihn bass erstaunte. Er band sein Maultier an den nächsten Baum und kam auf mich zu. Ob ich das Wasserreservoir fotografiert habe, wollte er wissen. Ich hatte nicht einmal eines gesehen. Dennoch nahm er mir die Kamera ab und bestellte mich für den nächsten Tag zur Miliz in Ohrid. Die Milizionäre waren sehr nett, und sie gaben mir nicht nur meinen Fotoapparat zurück, sondern auch den Film, den sie bereits der Kamera entnommen hatten. Sie hatten sich offenbar von meiner Harmlosigkeit überzeugt. Hier nun erfuhr ich, dass im Jahr zuvor ein Holländer ebenfalls durch die Galičnica gestreift war, was mir die vielen Nachfragen erklärte, aber auch zeigte, wie selten sich dorthin ein Ausländer verirrte.    

Nach Ende des Kurses kehrte ich nach Skopje zurück und nahm von dort den schon bekannten Bus nach Sofia. Dieses Mal kam ich nicht in einem Privatzimmer unter, sondern blieb in der Jugendherberge unweit des Bahnhofs. Es war eine schlichte Unterkunft, fließendes Wasser gab es nur im Freien, und das war eiskalt. Das Wasser kam direkt vom Vitoša-Gebirge, und es war inzwischen September. In der Jugendherberge freundete ich mich mit einem Mädchen an, das auch Mariana hieß. Sie ermöglichte mir auch den Besuch der Bojana-Kirche. Mit ihr korrespondierte ich auch noch über einige Jahre. Nachdem ich Sofia und die Umgebung gründlich kennengelernt hatte, fuhr ich mit dem Zug weiter nach İstanbul.

Ich fand ein billiges Quartier in Sirkeci und erkundete von dort aus die Stadt. Da es das erste Mal war, lief das übliche Besichtigungsprogramm mit Hagia Sophia, Topkapı sarayi, einer Reihe herrlicher Moscheen, dem Großen Basar. In einem Restaurant im Untergeschoss der Galatabrücke aß ich ein Gericht, das mich einen Zahn kostete: Herz. Ich hatte mir etwas wie Beuschl vorgestellt, erhielt aber unter einer metallenen Schüssel verborgen ein komplettes Herz serviert, das so hart gekocht war, dass ein Zahn im Fleisch stecken blieb. Sonst aber waren meine Erlebnisse positiv. Und ich setzte zum ersten Mal meinen Fuß auf den Boden eines anderen Kontinents (am 10. September 1972), auch wenn ich dazu nur die Fähre nach Üsküdar benötigte. Lange saß ich auf einem Felsen in Üsküdar, schaute auf den europäischen Kontinent und sah die Sonne hinter den Minaretten versinken, bevor ich nach Europa zurückkehrte. Verblüffend fand ich Straßenschilder, die den Weg nach Avrupa wiesen. Mein Türkisch war noch nicht gut, so dass ich auf das Französische ausweichen musste, um im Basar bei einem feinen älteren Herrn einen prachtvollen Druck des Korans zu erstehen.

Ich muss wohl in İstanbul etwas Unrechtes gegessen haben, denn auf der Weiterfahrt mit dem Zug nach Athen bekam ich Durchfall, der mich länger quälte, so dass ich von Athen außer dem Hotelzimmer nichts zu sehen bekam, und von Athen ging es mit dem schon bekannten Zug zurück nach Hause.